Kinder töten


Prolog:

Er sagte, die Menschen könnten Schuld nicht ertragen.
Warum nicht? fragten einige.
Weil sie die Verantwortung für ihr Tun scheuen, antwortete er.

Sie waren eine glückliche Familie. Die Frau arbeitete in einer kleinen Boutique, die beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen, gingen noch zur Schule und der Mann, der Kinder tötete, arbeitete im Amt der Kreisstadt. Sie hatten Freunde, wie alle eben Freunde haben, sie hatten Ansichten, wie alle ihre Ansichten haben und sie lebten in ihrem hübschen Einfamilienhaus ihre Träume, wie viele andere es auch tun. Und sie glaubten an Gott. Der Mann, war ein guter Mann und er fuhr jeden Morgen mit seinem Auto auf der Hauptstraße in sein Büro, um zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten seine Aufgaben zu erfüllen. Abends kam er meist zeitig zurück, stieg aus seinem Auto und verbrachte viel Zeit mit seinen Lieben.
Denn er war ein guter Mann, obwohl er Kinder tötete.

Die anderen Eheleute, deren Kind er töten würde, waren frisch verheiratet und konnten ihr Glück kaum fassen, als sie mit einem kleinen Baby beschenkt wurden. Sie nannten es Lena und da ihre Wohnung zu klein geworden war, um zu dritt darin zu leben, suchten sie zur Vollendung ihres Glücks nach einem kleinen Häuschen. Endlich fanden sie eines, direkt an der Hauptstraße, die in die Kreisstadt führte. Es lag zwar sehr dicht an der Straße, aber mit einer kleinen Hecke, könne man sich ja abgrenzen und überhaupt war das Häuschen günstig und der Etat der beiden noch sehr bescheiden. So kauften sie es und die Mutter stellte ihr Baby jeden Tag im Kinderwagen in den Garten, wo Lena die Sonne und die frische Luft genoss und vor Freude krähte und spielte. Die Geräusche der vorbeifahrenden Autos hörten sie schon bald nicht mehr, da sich ihre Ohren daran gewöhnt hatten.

So ging es alle Tage, Monate, ja ganze drei Jahre. Der Mann, der Kinder tötete, fuhr Tag für Tag fröhlich zu seiner Arbeit in die Stadt und das Kind, das getötet werden würde, spielte ebenso fröhlich im Garten, als der Mann an ihm vorbeifuhr.

Bis, ja bis einen Tages der Husten des Kindes nicht mehr aufhören wollte. Und obwohl die Eltern dem Kind Medizin gegen sein Asthma gegeben und verantwortungsvoll den Rat zweier Ärzte eingeholt hatten, ging es der kleinen Lena immer schlechter.

Schließlich untersuchte man sie gründlich und so kam sie in die gerade neu eingeweihte Kinderkrebsklinik der Kreisstadt. An ihrem Beatmungsgerät war Lena nun nicht mehr fröhlich, sie spielte nie mehr, sie lachte nie mehr und statt des lautstarken Krähens im Garten, war jetzt nur noch ein nach Luft lechtzendes Röcheln zu hören.
An dem Tag kam der Mann, der Kinder tötete, mit seinen Kollegen vom Amt zur Besichtigung in die neue Klinik.

Als er Lena da liegen sah und ihr Röcheln hörte, schossen ihm Tränen in die Augen und tief erschüttert fragte er den Oberarzt, wie lange das Kind da noch so liegen müsse.
Das Kind heiße Lena, war die Antwort, nur noch ein paar Tage, dann würde der Tod sie erlösen. Sie habe wohl zu dicht an einer vielbefahrenen Straße gewohnt und durch Feinstaub und Abgase schweren Schaden genommen.
Entsetzt fuhr der Mann nach Hause. Das Bild des nach Atem ringenden Kindes wollte ihm nicht aus dem Kopf, denn es hatte sich tief in seine Seele eingeprägt.
Und er hielt es nicht aus das Bild. Er musste etwas tun, denn er war ein guter Mann.
So fuhr er schließlich zum Pastor und erklärte ihm, er würde sofort aus der Kirche austreten, denn mit einem Gott, der Kinder so leiden lässt, wolle er nie mehr etwas zu tun haben.

Dann stieg er in sein Auto und fuhr mit ihm weiterhin jeden Tag in die Kreisstadt zu seiner Arbeit, um auf dem Weg dorthin Kinder zu töten.
Denn in das kleine Haus an der Straße war eine andere junge Familie eingezogen und ihre zwei Kinder spielten jeden Tag fröhlich im Garten.
Er sah sie, wenn er mit seinem Auto an ihnen vorbeifuhr.


Epilog:

Was aber tun sie, wenn sie schuldig geworden sind, fragte jemand.
Da stand er auf und entgegnete traurig:
Dann beteuern sie, nichts davon gewusst zu haben
oder alle anderen würden es doch ebenso machen.
Warum auch sollten sie sich ändern?
Die anderen täten es doch auch nicht.
So seien die Menschen nun einmal.

©2020 P. Eitner
Die Fakten zur Geschichte