Geschichte - Abbild unseres Lebens


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Abgeschickt von Keine Ahnung am 06 Oktober, 2002 um 13:39:50:

Hi Saron,

ein "Abbild unseres Lebens" moechtest du gern hier bzw.
auf deiner HP darstellen. Ja, auch ich halte
das von dir Veroeffentlichen von Gedichten und
Geschichten - von Herzen geschrieben - als einen
sehr geschickten Versuch, dein angestrebtes Ziel zu
erreichen.

(Uebrigens, den Hintergrund deiner forum/index.html-Seite
mit den Baeumchen, den find ich sehr zurueckhaltend,
schoen, ich moechte fast sagen, "ein bisschen romantisch".)

Also, um auf die Geschichten zurueckzukommen, ich
schicke dir hiermit jetzt auch eine. Ein Versenden per
E-Mail, wie von dir empfohlen, das ist mir nicht moeglich,
da ich keine E-Mail-Adresse preisgeben moechte. Aber du
kannst sie natuerlich - bei Interesse - auf deine HP
setzen, als ein "weiteres Abbild unseres Lebens, unserer
Gesellschaft".

Wie hat mal einer gesagt? Irgendwie so in die Richtung:

"Die Demokratie ist eine aeusserst miese Staatsform.
Aber es ist immer noch die beste, die es gibt."

Demokratie heisst wohl so viel wie, "die Mehrheit, das
Volk hat das Sagen". Demokratie heisst aber nicht "Schutz
von Minderheiten", "Integration von Minderheiten",
"Akzeptanz von Minderheiten". So manch einer, der anders
ist (als die Mehrheit, das Volk), muss dies
- obwohl er eigentlich niemandem auf die Fuesse tritt -
womoeglich seit seiner Kindheit schmerzlichst
feststellen.

Ein Schueler einer zwoelften Klasse hat mal ein
wunderschoenes Gedicht geschrieben. Ich habe mich in
dieses Gedicht geradezu verliebt. Denn es entspricht
genau meiner eigenen Denkweise, meinem eigenen Lebensweg.
Die ersten paar Zeilen beginnen folgendermassen:

"Er wollte immer etwas erklaeren,
aber niemand wollte es hoeren.
Manchmal malte er, aber es stellte nichts Bestimmtes dar.
Er wollte es in Stein meisseln, oder in den Himmel schreiben.

Oft lag er im Gras und blickte zum Himmel auf,
und es gab nur ihn und den Himmel und die Dinge
in seinem Inneren, die gesagt werden wollten.
Und danach malte er das Bild.

..."


Irgendwann hat er dann sein Bild weggeworfen, und sein
Gedicht endet mit den Worten:

"...
Und als er allein dalag und in den Himmel sah,
war dieser gross und blau und einfach alles,
aber ihn selbst gab es nicht mehr.
Er war in seinem Inneren viereckig und braun,
und seine Haende waren steif.
Und er war wie alle anderen.

Und die Dinge in seinem Inneren,
die gesagt werden wollten,
wollten nun nicht mehr gesagt werden.
Der Drang hatte aufgehoert.
Er war zerbrochen. Steif.
Wie alles andere."

Auch ich wollte immer etwas erklaeren,
aber niemand wollte es hoeren,
irgendwann fing ich dann an zu schreiben.
Ich wollte meine Gefuehle ausdruecken,
auf dass es mich nicht zerreissen moege.

Doch irgendwann kam auch ich an den Punkt,
an dem ich nichts mehr zu sagen hatte.
Der "Drang" zu schreiben, er hatte aufgehoert.
Er war zerbrochen, steif,
wie alles andere.

Die Umgebung sagt sich, "na endlich, jetzt funktioniert
er", "endlich hat er mit seiner Rebellion aufgehoert",
"endlich ist er vernuenftig geworden". Doch die
Gesellschaft, sie hat nichts begriffen.

Ach ja, die Geschichte, die ich ja versprochen habe,
bitte sehr, hier ist sie. Vermutlich ist sie meine letzte.
Ich finde, sie ist ein toller Abschluss (meiner Schreibphase).


GESCHICHTE:

DIE KLEINE SISSY MIT DEN SCHWEFELHOELZCHEN

Es war so schrecklich kalt und es begann dunkler Abend zu werden; es war
der letzte Abend des Jahres, Silvesterabend. In dieser Kaelte und
Finsternis ging auf der Strasse ein armes, kleines, allein gelassenes Kind,
viel zu kalt gekleidet fuer diese eisig kalt werdende Nacht. Als es von zu
Hause losgelaufen war, da war es ihm noch nicht zu kalt, doch jetzt - die
Kaelte ging ihm durch und durch.

Doch was sollte es tun? Wieder umkehren, heimlaufen, klingeln, sich von
seinen Eltern die Wohnungstuer oeffnen lassen, um kurz danach an Wangen, Po
und Oberschenkel eine extrem gute Durchblutung zu haben? Nein, das wagte
dieses fast schon 10-jaehrige Kind nicht. Es wusste ja, dass es was
Verbotenes getan hatte: Es war abends bei Dunkelheit von zu Hause
weggelaufen, ohne seinen Eltern was zu sagen. Das war schon schimm genug.
Doch wenn seine Eltern dann beim Heimkommen auch noch sahen, wie es
gekleidet war, ... - nein, umkehren war keine Loesung.

Das kleine Kind, es wusste nicht mehr ein noch aus. Kurz vor dem Abendessen
war es nach einer Ohrfeige durch seinen Vater aus der Kueche gelaufen,
hatte sich in seinem Zimmer eingesperrt und geweint, hatte sich
schliesslich umgezogen und dann heimlich das Haus verlassen.

Am Nachmittag war es mit seinen Eltern und seiner zwei Jahre aelteren
Schwester auf dem Friedhof gewesen. Da hatte es ein Kerzchen mit
Streichhoelzern anzuenden duerfen. Es war recht geschickt darin und wagte
es auch, beim Reiben des Streichholzkopfes an der Reibeflaeche seinen
Zeigefinger fast ganz vorn beim Schwefelkoepfchen zu haben, damit das
Streichhoelzchen nicht brechen konnte. Nach dem nach Hause kommen waren die
Streichhoelzer noch immer in seiner Hosentasche gewesen. Es hatte sie daher
zu den Schreibsachen auf seinen Tisch gelegt.

Kurz bevor es am Abend weggelaufen war, da steckte es noch die
Streichholzschachtel in eine seiner Taschen seines Maentelchens. Das Kind
wusste ja aus der Geschichte "Das kleine Maedchen mit den
Schwefelhoelzchen" wie schoen ein Streichholz bei eisiger Kaelte Haende
waermen konnte. Ja hatte es denn gar selbst vor, ein "kleines Maedchen mit
den Schwefelhoelzchen" zu werden?

Nachdem es nun fuer einige Zeit ziemlich unentschlossen herumgestanden war
und ueberlegt hatte, ob es nun doch wieder umkehren sollte oder nicht, fing
es nun erneut an, sich weiter von zu Hause zu entfernen. Bisher war es auf
einem Fussweg neben der Hauptstrasse entlang gelaufen. Nun bog es rechts in
einen Feldweg ein. Der Himmel war sternenklar, der Mond schien, und bei
jedem Schritt knirschte der Schnee unter den Schuhsohlen.

Es war grimmig kalt.

Das frierende und veraengstigte Kind, es wurde langsamer. Das Laufen, es
schmerzte. Die Kaelte war einfach unertraeglich. Seine mit einem Innenfell
ausgestatteten Stiefelchen waren ja gar nicht so uebel, und die dicken, von
Oma gestrickten Socken waeren ueber einer Feinstrumpfhose eigentlich ganz
gemuetlich gewesen, doch heute liess sich die Kaelte weder von diesen
Socken noch von den Stiefeln oder dem schoenen, bis gut ueber die Stiefel
reichenden Mantel mit dem dazugehoerenden Schal aufhalten. Das kleine Kind
zog sich seine Muetze so weit ins Gesicht wie nur moeglich, steckte seine
schon gar nicht mehr aus den Aermeln herausschauende Haende in die Taschen
seines roten Kapuzenmaentelchens und naeherte sich einer Scheune.
Vielleicht wuerde es sich dort ein wenig ausruhen, ein bisschen hinsetzen
koennen.


Ohne Mond und Sterne waere es rund um das einsame Kind dunkel gewesen. In
der Ferne sah es Lichter seines Dorfes. War nicht das eine da die
beleuchtete Kirchturmspitze? Friedhof, Zuendhoelzchen. Ach ja, die hatte es
ja dabei. Erst mal ein bisschen aufwaermen und dann weitersehen, so dachte
es sich.

Es war grimmig kalt.

Des Kindes Haende waren so kalt, es konnte kaum die Streichholzschachtel
ordentlich halten. Die kleinen Streichhoelzchen, die liessen sich nicht
recht anfassen. Die klammen Fingerchen taten naemlich nicht mehr das, was
sie tun sollten. So nahm es eben ein Streichholz mit Daumen und Zeigefinger
statt mit Daumen und Mittelfinger und Zeigefinger vorn beim Schwefel.
Prompt brachen die ersten Zuendhoelzchen ab. Das kleine Kind war
verzweifelt. Es begann zu weinen, es fuehlte sich fallen gelassen,
vergessen von allen. Und das, obwohl es ja eigentlich selbst von zu Hause
weggelaufen war. Aber man hatte es geschimpft, geschlagen, wieder
geschimpft, erniedrigt, gedemuetigt, und als alles nichts half, da
hatte man mit dem Schlagen wieder weitergemacht. Nein, nach Hause wollte es
nicht mehr. Es fuerchtete sich vor seinem Zuhause genauso sehr wie das
kleine Maedchen in der einen Geschichte, nachdem es den ganzen Tag kein
Schwefelhoelzchen hatte verkaufen koennen.

Endlich, schon halb abgebrochen, entzuendete sich mal ein Streichholz. Die
schon fast zu Eistroepfchen festgefrorenen Traenen auf den Wangen des
Kindes konnten nun doch noch ein Laecheln um seine Mundwinkel erleben. All
die zerbrochenen und noch nicht verwendeten Streichhoelzchen durften nun an
der Entstehung eines suessen, kleinen, waermenden Feuerchens mitwirken.

In der Geschichte, die das kleine Kind kannte, da sah das Maedchen im
Schein seiner brennenden Schwefelhoelzchen eine gefuellt Gans, einen
wunderschoenen Christbaum und seine liebe Grossmutter. Aber in diesem nun
waermenden Feuerchen war keine Gans und auch keine Grossmutter zu sehen.
Aber es sah den wunderschoen geschmueckten Christbaum bei sich zuhause im
Wohnzimmer stehen. Und es sah seine laechelnde Mutter auf sich zukommen.
Sie hielt in ihrer Hand einen Kleiderbuegel, an dem ein wunderschoenes,
rosa Kleidchen mit Rueschen, weisser Spitze und einem breiten, am Ruecken
zu einer Schleife zu bindenden Baendchen hing.

Seine Mutter, sie half ihm beim Ausziehen seiner Bubenbekleidung, oeffnete
ein Weihnachtspaeckchen, holte daraus rosa-weise Maedchenunterwaesche, half
ihm sie anzuziehen, und hielt ihm dann SEIN Kleid so hin, dass er mit
seinen Armen nur noch hineinschluepfen musste. Danach zog sie ihm den
Rueckenreissverschluss hoch und band die Schleife seines oder besser gesagt
'ihres' Kleides.

Nein, Kaelte verspuerte 'Katrin' nicht mehr. Er war ganz ruhig, seelig,
gluecklich, mit einem Laecheln um seine Lippen. Sein Traum, er ist in
Erfuellung gegangen. Nun war er wirklich - bis zu seinem/ihrem Ende - "DAS
KLEINE MAEDCHEN MIT DEN SCHWEFELHOELZCHEN".

Als man am schoenen, sonnigen Neujahrstag das erfrorene Kind fand, da gab
es erst Verwirrung wegen der Maedchenbekleidung. Fuer die Eltern war der
"Abgang" ihres Sohnes mehr als peinlich. Es war fuer sie absolut
beschaemend, denn natuerlich sprach sich's herum, dass ihr Sohn in einem
Sommerkleid seiner Schwester tot aufgefunden worden war.

Gut dass das kleine Kind es nicht mehr mitbekam wie sein Vater ein paar
Tage spaeter zum Rest seiner Familienmitglieder sagte: "Waere Hansi doch
wenigstens an Leukaemie oder so gestorben, dann wuerden jetzt die Leute
offen auf uns zugehen und uns Beileid wuenschen. So aber tuscheln sie nur
unter sich, schauen uns komisch an, wechseln lieber die Strassenseite, als
zu uns 'hallo' zu sagen und bringen staendig indirekt zum Ausdruck, dass wir
fuer eine konsequente, diszipilinaere Erziehung zu bloed und somit fuer den
Tod dieses Kindes verantwortlich waeren. Ich sag's euch klipp und klar. Der
Bub war unheilbar krank. Wir konnten ihm nicht helfen. Wir haben uns ja
wirklich bemueht, ihn geradezubiegen."


(Das "Vorwort" und die "Schlussgedanken" dieser Geschichte habe ich fuer
diese Forumsversion geloescht, da diese Teile wirklich nur fuer ein
TG-Forum geeignet sind.)


(Ach ja, mein eigentlicher Name, er steckt in der Geschichte.)



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