Zusammenfassung
Auf die überströmende Gnade (Kap. 5) folgt die Frage: „Sollen wir in der Sünde verharren, damit die Gnade umso mächtiger werde?“ Paulus antwortet entschieden: Nein! Wer getauft ist, ist mit Christus in seinen Tod und in sein neues Leben vereinigt. Der „alte Mensch“ wurde mitgekreuzigt, damit der Leib der Sünde entmachtet wird; wir sollen uns „der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus“ rechnen. Gnade legitimiert also keine Gleichgültigkeit, sondern gründet echte Freiheit. Nicht mehr die Sünde herrscht, sondern Gerechtigkeit: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ Deshalb sollen Christinnen und Christen ihre Glieder nicht der Sünde zur Verfügung stellen, sondern als Werkzeuge der Gerechtigkeit Gott anbieten. Das Bild wechselt zur „Sklaverei“: Früher Sklaven der Sünde – Frucht: Scham und Tod; jetzt Sklaven der Gerechtigkeit – Frucht: Heiligung und Leben. Kulmination: „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“ (6,23).
Theologische Interpretation
Römer 6 entfaltet die Ethik der Vereinigung: Heiligung ist nicht primär Mühe, sondern Identität. Alles beginnt mit dem Indikativ (was Gott in Christus getan hat) und führt in den Imperativ (was wir tun sollen). Taufe ist das Bundeszeichen dieser neuen Realität: Sie verweist auf das Mitgestorbensein und Mitauferstehen mit Christus – objektiv zugesprochen, subjektiv anzueignen. „Nicht unter Gesetz“ meint nicht Gesetzlosigkeit, sondern Herrschaftswechsel: Gnade schenkt die innere Freiheit, Gottes Willen zu wollen. Das Doppelbild „Rechnen – Darstellen“ (logízesthe / paristánete) strukturiert die Praxis: (1) geistliche Selbstwahrnehmung trainieren („ich bin der Sünde gestorben“) und (2) konkrete Lebensbereiche Gott verfügbar machen (Körper, Zeit, Geld, Worte). Das Paradox der „Sklaverei der Gerechtigkeit“ macht klar: Der Mensch ist nie absolut autonom – wahre Freiheit ist gebundene Freiheit an Christus.
Aktualisierung mit NT-Bezug
Kol 2,12–13 (Mitbegraben und mitauferweckt in der Taufe); Joh 8,36 (wenn der Sohn frei macht, seid ihr wirklich frei).
Für heute spricht Römer 6 in Alltag und Kultur: (1) Gegen Selbstentschuldigung: Gnade ist kein „Freifahrtschein“, sondern Kraft zur Veränderung. (2) Gegen Schamstarre: Wer in Christus ist, definiert sich nicht mehr über vergangene Sünden – neue Identität erlaubt neue Schritte. (3) Körperlich konkret: Heiligung betrifft Zunge, Bildschirmzeit, Sexualität, Umgang mit Geld; stelle diese „Glieder“ Gott zur Verfügung. (4) Training statt Blitzheilung: „Rechnen“ heißt erinnern, bekennen, üben – z.&xnbsp;B. durch liturgische Routinen (Tagesgebet, Beichte, Abendmahl) und klare Grenzziehungen (Filter, Verbindlichkeit in Gruppen). (5) Öffentliche Dimension: Freiheit von destruktiven Gewohnheiten macht gemeinschaftsfähig – Familien, Teams und Gemeinden werden verlässlicher. Römer 6 schenkt nüchterne Hoffnung: Veränderung ist möglich, weil Herrschaft gewechselt hat.
Fazit
Die Gnade macht nicht lax, sondern lebendig. Getauft in Christus, leben wir aus einer neuen Quelle: tot für die Sünde, verfügbar für Gott. Aphorismus: „Christliche Freiheit ist die Kraft, das Gute zu wollen – und es zunehmend zu tun.“
Studienfragen